2021 - Paddeln auf dem Torneträsk / Torneälven

 

Eigentlich wollten wir den Kaamasjoki in Finnland paddeln. Durch die "Corona"-Beschränkungen war bis zum Reisebeginn die Einreise nach Finnland leider nicht möglich, so dass wir als alternatives Reiseziel für eine Tour nach Nordschweden entschieden. Mit einem negativen Testbefund durften wir einreisen. 

 

Da wir wegen der Kontaktnähe zu anderen Reisenden nicht fliegen wollten, mieteten wir uns (Andrea und ich) einen VW Passat Kombi und fuhren zunächst bis Travemünde, von dort aus mit der Fähre nach Malmö und weiter über Stockholm bis nach Pajala in Schwedisch Lappland. Die Fährüberfahrt war unproblematisch, da sich die wenigen Touristen sehr gut auf dem Schiff verteilten und wir immer ausreichend Abstand halten konnten. Die Überfahrt dauerte etwa 9 Stunden. Während der Autofahrt wechselten wir uns regelmäßig beim Fahren ab und bald erreichten wir den Polarkreis. Unser Ziel war ein direkt am Torneälv nahe Pajala gelegener Campingplatz. Der Tag nach der Ankunft war unter anderem für den Einkauf der benötigten Lebensmittel eingeplant. Am darauffolgenden Tag holte uns ein Mitarbeiter der Kanuvermietung mit seinem Auto, dem Kanu und sämtlichem Equipment ab. Unseren Wagen parkten wir bis zur geplanten Rückkehr direkt vor der Einfahrt des Campingplatzes.

 

Eigentlich wollten wir in Kurravaara, ganz in der Nähe von Kiruna, unsere Paddeltour beginnen, entschieden uns jedoch während der Fahrt, auf dem Torneträsk zu starten. In Stenbacken setzten wir das Kanu ins Wasser, beladen mit allen Kisten, Säcken und sonstigem Zubehör, das wir während unserer Tour benötigten. Natürlich wurden sämtliche Teile durch ein Seil mit dem Boot verbunden, so dass uns im Falle einer Kenterung kein Gepäck verloren gehen konnte.

 

Wir starteten mit kräftigem Rückenwind von etwa Windstärke 6 - 7. Das etwa 300 kg schwere Boot lag sicher, aber recht tief im Wasser und wir mussten stets darauf achten, dass uns die hohen Wellen ziemlich exakt von hinten überholten, um nicht herumgerissen zu werden und zu kentern. Die Sonne schien und die hohen Berge im Westen leuchteten mit ihren schneebedeckten Gipfeln, die sich bereits in Norwegen befanden.

 

Andrea nahm während der Fahrt die vordere Position ein, während ich als Steuermann meinen Dienst tat. Für die erste Übernachtung wählten wir eine Insel aus, von der aus wir einen herrlichen Blick über den See mit den im Hintergrund schneebedeckten Bergen hatten.

 

Ab hier verließen wir jetzt jegliche Nähe zu bewohnten Gebieten und tauchten in nahezu unberührte Wildnis und in ein unbeschriebenes Paddelrevier ein, zumindest bis nach Kurravaara, wo wir eigentlich starten wollten. Der Torneälv entsteht aus dem abfließenden Wasser des Torneträsk etwa 50 km südöstlich. Wir ahnten, dass uns unterwegs noch einige Schwierigkeiten wegen des starken Gefälles erwarten würden, da sich der See an einigen Stellen sehr verengt und auf Google Maps zumindest eine kurze Stromschnelle zu erkennen war. Was dann aber kam, brachte uns schon an die Grenzen unserer Kräfte.

  

Abfahrt zur Paddeltour

Kurz nach der Abfahrt von Stenbacken am Torneträsk überraschten uns heftige Winde aus Westen der Windstärken 6 - 7. Gut, dass der Wind von hinten blies und uns zügig vorankommen ließ. Im Hintergrund erhoben sich schneebedeckte Berge von bis zu 1.600 m Höhe. Wir mussten genau darauf achten, dass der Wind exakt von hinten unser schweres Kanu traf und uns die hohen Wellen nicht von der Seite her trafen. Entweder sie wären in das Kanu geschwappt oder hätten uns schlimmstenfalls sogar umgeworfen. Wir waren ein gut eingespieltes Team, so dass wir den Kurs gut einhielten. Wir genossen das windige, aber sonnige Wetter und die wunderbare Aussicht, so dass die Zeit sehr schnell verging und wir schon bald nach einem geeigneten Lagerplatz Ausschau hielten. Vor uns lag die Insel "Vuoresaolu", die wir ansteuerten und beschlossen, dort unser Nachtlager aufzuschlagen.

Unsere Zelte errichteten wir direkt am Ufer des Sees und bauten uns die Feuerstelle mit den vielen Steinen, die sich in Ufernähe befanden. Zum Abendessen gab es Fleisch mit Kartoffeln und Gemüse, abgerundet mit einer Dose Bier für jeden.

 

Noch begleitete uns die Uferstrasse sowie eine Bahnlinie auf der anderen Seite des Sees, aber morgen würden wir in nahezu unbewohntes Gebiet "eintauchen", von dem im Internet keine Beschreibung oder Berichte zu finden waren. Das Abenteuer konnte beginnen.

Wir kraxelten auf die Spitze der langgezogenen Insel und erfreuten uns der wunderbaren Aussicht auf die bereits in Norwegen liegenden Berge. Auch heute schien wieder die Sonne und nach dem Frühstück packten wir unsere Sachen und paddelten in südöstlicher Richtung. Wir mussten uns rechts am See halten und in den unteren Arm des Flusses paddeln. Der obere Seearm wäre für uns nicht befahrbar gewesen. Bis zu der "kritischen Stelle" - wo sich laut Google Maps wahrscheinlich eine Stromschnelle befand - waren etwa 15 km zu paddeln. Auch heute hatten wir noch ordentlichen Rückenwind und so kamen wir schnell voran. Am Nachmittag erreichten wir die Engstellen und hörten schon von einiger Entfernung das Rauschen des Wassers.

Am Ufer war ein Steg angebracht und wir legten dort an, um uns die Stromschnelle genau anzusehen.

Vom Steg aus führte ein Pfad auf die andere Seite der Halbinsel. Wir entschieden gemeinsam, dass die Stromschnelle für uns nicht befahrbar und die Strömung viel zu heftig war. Hohe Wellen türmten sich an vielen Stellen auf und es war auch nicht zu erkennen, ob sich darin Steine oder Felsen befanden.

 

Wir entluden das Kanu und trugen unsere gesamten Sachen zum anderen Ende der Halbinsel. Das nun leere Kanu treidelten wir am wesentlich ruhigeren Uferbereich entlang der etwa 200 m langen Stromschnelle. Das Wasser war hier etwa knietief und wir mussten bei jedem Schritt darauf achten, auf den teilweise glitschigen Steinen nicht auszurutschen. Sicher erreichten wir die Stelle, wo wir unsere Sachen zwischengelagert hatten und beluden wieder unser Kanu. Die Fahrt ging weiter und vor uns lag ein langgezogener ruhiger See von einigen hundert Metern Breite.

Aufgrund der uns vorliegenden recht genauen Landkarte mussten wir noch mit mindestens zwei Strom-schnellen rechnen. Zunächst aber paddelten wir fernab jeglicher Zivilisation den See entlang, begleitet von bis an die Ufer reichenden Wald auf beiden Seiten. 

 

Am Nachmittag hörten wir wieder das uns schon bekannte Geräusch. Die nächste Stromschnelle näherte sich und wir beschlossen, den heutigen Tag noch vorher zu beenden. Wir schlugen das Lager wieder direkt am Uferbereich auf, bauten uns eine Feuerstelle und genossen den Abend in unseren mitgebrachten Camping-stühlen am Feuer. Was uns wohl der nächste Tag bringt? Aber darüber wollten wir jetzt nicht nachdenken.

 

Nach dem ausgiebigen Frühstück beluden wir wieder bei schönstem Sonnenschein unser Kanu und erreichten bald darauf die etwa 500 m lange Stromschnelle. Auch diese war mit dem schweren Kanu nicht befahrbar und wir manövrierten es im ruhigen Uferbereich zwischen den vielen Steinen hindurch. Wir hatten jeweils vorne und hinten am Kanu eine etwa 20 m lange Leine befestigt. Andrea ging voraus und hielt die Leine sicher in ihren Händen und ich hielt die hintere Leine fest, blieb aber immer dicht am Kanu, um es gegebenenfalls über blockierende Steine zu hieven. Das Wasser reichte uns bis zu den Oberschenkeln und war entsprechend kühl. Durch die wärmende Sonne und die ständige Arbeit hatten wir jedoch nicht das Gefühl, das das Wasser zu kalt war. Auch diese Stromschnelle bewältigten wir und erreichten nach etwa einer Stunde das wieder ruhige Wasser des Folgesees.

Das nächste Lager war ebenfalls wunderbar und direkt am Seeufer gelegen. Es sollte unser letzter Lager dieser Fahrt sein - aber das ahnten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Zunächst paddelten wir, wie bisher jeden Tag, bei herrlichem Sonnenschein nach dem Frühstück los und wir fuhren direkt auf die letzte lange Seeverengung laut Landkarte zu. 

 

Bald hörten wir wieder das uns schon bekannte Geräusch, stoppten unser Kanu am Ufer direkt vor Beginn der Stromschnelle. Wegen einer Biegung war das Ende der Stromschnelle nicht auszumachen, Wege durch den dichten Wald waren ebenfalls nicht zu erkennen, obwohl wir die Umgebung ausgiebig danach absuchten. Gewaltige Wassermassen flossen hier mit sehr hoher Geschwindigkeit flussabwärts und wir waren uns auch nicht sicher, ob wir das schwere Kanu tatsächlich heile am äußersten Rand bis zum Ende der Stromschnelle durchbringen würden. Aber es blieb uns gar nichts Anderes übrig. Ein Zurück kam nicht mehr infrage.

 

Manchmal hatten wir am Uferbereich einige Meter Abstand zu den mit sehr hoher Geschwindigkeit tobenden Wassermassen, manchmal aber kamen diese gewaltigen Wassermassen auf nur wenige Meter bis zu uns heran. Der Uferbereich war durchaus gangbar trotz der vielen rutschigen und ungleichmäßigen Steine. Das Wasser ging uns wieder bis zu den Oberschenkeln. Ständig "strandete" das Kanu auf einem der vielen unter Wasser liegenden Steine, so dass ich es mit viel Kraft darüber heben musste. Andreas Aufgabe war es, das Kanu mit der langen Leine so zu sichern, dass es im Zweifelsfall durch die Leine gehalten wurde. Eine sehr aufwändige und verantwortungsvolle Aufgabe, die Andrea wunderbar meisterte. Natürlich hatten wir unsere Rettungswesten stets an, nur an die Helme hatte unser Bootsvermieter nicht gedacht.

Plötzlich sackte ich bei einem Schritt in ein tiefes Loch im Boden und versank bis zum Hals, die Strömung erfasste mich und ich nahm schnell Fahrt auf. So stark ich konnte, kraulte ich in Richtung Ufer und konnte auf dem letzten Meter das lange Seil fassen, das mir Andrea noch zugeworfen hatte. Mit einem Ruck hielt ich an und konnte meine Füße wieder auf festen Boden stellen. Das war noch einmal gut gegangen.

Erst hinter der nächsten Kurve konnten wir das Ende der Stromschnelle erkennen. Es lag noch ein recht weiter Weg vor uns. Nach insgesamt etwa drei Stunden harter Arbeit bestiegen wir unser Kanu und fuhren die letzten Meter mit hoher Geschwindigkeit auf den vor uns liegenden ruhigen Flussabschnitt zu. Hier begann scheinbar der Torneälv. 

Zwei unserer Paddeln sind bei der Aktion über Bord gegangen. Wir hatten alle Sachen fest mit dem Boot verbunden, hatten dabei aber vergessen, auch die Paddel zu sichern. Mein Paddel war jedoch noch an Ort und Stelle und so konnte ich das Kanu sicher steuern.

Dann plötzlich plagten mich heftige Bauchschmerzen, so dass wir einen auf der gegenüber liegenden Seite angebrachten Bootssteg ansteuerten. Mit großer Kraftanstrengung zog ich mich auf den Steg und war ab diesem Moment vor Schmerzen nicht mehr in der Lage, irgendetwas zu tun.

 

Gut, dass Andrea in meiner Nähe war. Es war Wochenende und auf dem See waren zwei junge Mädels, die eine aufgeblasene "Banane" mit ihrem Jet-Ski hinter sich her zogen. Nach langen Hilferufen seitens Andrea verschwanden die Jugendlichen und kurze Zeit später kam Anders, ihr Vater, mit einem Schnellboot zu uns gefahren. Er lud Andrea und mich ein (das Kanu holten er und Andrea später ab) und brachte mich mit voller Fahrt bis nach Kurravaara, wo mich der inzwischen herbeigerufene Rettungswagen aufnahm und mich nach Kiruna ins Krankenhaus fuhr. Von alle dem hatte ich fast nichts mehr mitbekommen, da ich vor Schmerzen stellenweise nicht mehr bei Besinnung war. 

Im Krankenhaus wurde nach einer Untersuchung festgestellt, dass ich dort nicht behandelt werden konnte und wurde mit einem Liegendtaxi in das nächsterreichbare geeignete Krankenhaus ins 120 k entfernte Gällivare gebracht. Die Untersuchung ergab, das ich an einer alten Blinddarmnarbe einen Darmverschluss bekommen hatte und der Darm an einer Stelle bereits gerissen war und der Darminhalt sich in den Bauchraum ergoss. Die lebensgefährliche Situation führte zur sofortigen Operation. Danach blieb ich noch eine Woche im Krankenhaus und wurde am folgenden Montag entlassen. Andrea brachte mich sicher wieder mit unserem Mietwagen nach Hause.

In der Zwischenzeit hatte sie die Zeit genutzt, um Tagesausflüge in den umliegenden Nationalparks zu unternehmen und war dabei stets in erreichbarer Nähe geblieben. Die in der Zwischenzeit von ihr veranlasste aufwändige Organisation verdient hohe Anerkennung (Sie hatte u. a. auch das etwa 150 km entfernt geparkte Auto auf Pajala geholt).

Inzwischen bin ich wieder zuhause und habe mich weitestgehend erholt. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir unsere Reise vielleicht schon im kommenden Jahr von Kurravaara bis nach Pajala fortsetzen können.